Zusammenfassung der Ergebnisse des Symposiums „Jugendarbeit in Europa – Mission (un)möglich?“, von Prof. Dr. Tomaž Deželan .
Die derzeitigen Bedingungen für junge Menschen in Europa sind katastrophal. Junge Menschen gehören zu den größten Opfern der Krisen des letzten Jahrzehnts, wie der „eingefrorene Fortschritt “ beweist, vor dem das Europäische Jugendforum warnt.
Konkret ist die Jugendbeschäftigungsquote niedrig , mit einem hohen Anteil an unfreiwillig befristeten Verträgen. Ein Viertel der jungen Menschen in Europa ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, und zwei Drittel von ihnen sind besorgt über ihr allgemeines soziales und wirtschaftliches Wohlergehen. Darüber hinaus tragen die Lebenshaltungskosten, der Klimawandel und die Ausbreitung von Kriegen dazu bei, dass die psychische Gesundheit junger Menschen eines der größten Probleme im Jugendbereich ist: Fast die Hälfte der jungen Europäerinnen und Europäer hat unerfüllte Bedürfnisse im Bereich der mentalen Gesundheit.
Youth Work in Europe: Mission (Im)possible? Dokumentation des Symposiums zur Förderung des Dialogs zwischen Jugend, Jugendarbeit und Politik (Herausgegeben vom IBB e.V. | 1. Aufl. März 2024 | Englisch | 48 S. | pdf | 3,7 MB)
Wenn Regierungen junge Menschen im Stich lassen, ist die Jugendarbeit gefordert, einzugreifen und die Belastungen für junge Menschen zu verringern, indem sie ihre persönliche Entwicklung, soziale Integration und aktive Bürger:innenschaft unterstützt. Aber auch die Jugendarbeit leidet unter der Situation, denn Studien zeigen , dass die Jugendarbeit eine nachhaltigere und wirksamere Finanzierung und eine höhere Anerkennung benötigt, insbesondere im Hinblick auf ihre Rolle in der Gesellschaft. Die 2. European Youth Work Convention forderte daher die Erstellung einer Europäischen Jugendarbeitsagenda (EYWA), um die weitere Entwicklung, Stärkung und Qualität der Jugendarbeit zu fördern. Die 3. European Youth Work Convention im Jahr 2020 markierte den Beginn der Umsetzung der Europäischen Jugendarbeitsagenda – auch bekannt als der Bonn Process. Um den Bonn Process zu unterstützen und „nach Hause zu bringen“, fordern das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk e.V. (IBB e.V.) und Generation Europe stärkere Maßnahmen, um die Situation der Jugendarbeit(-sorganisationen) zu verbessern, und vor allem, um die aktuellen Nöte junger Menschen in ganz Europa anzugehen.
Durch ein innovatives Symposiumsformat schuf Generation Europe, ein internationales Netzwerk von Organisationen der Jugendarbeit, die sich für eine aktive europäische Zivilgesellschaft einsetzen, eine solide und aktive transnationale, multilaterale Multi-Stakeholder-Plattform, um jugendpolitische Strategien in Europa zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Das Symposium „Jugendarbeit in Europa – Mission (un)möglich?“, das am 13. November 2023 in Dortmund stattfand, ist ein herausragendes Beispiel, denn es folgte dem Prinzip des sogenannten jugendpolitischen Dreiecks: Es versammelte Vertreterinnen und Vertreter von Behörden, die mit dem Auftrag arbeiten, politische Maßnahmen zu konzipieren und umzusetzen, Jugend(arbeits)organisationen, die die Bedürfnisse und Anliegen junger Menschen vertreten, sowie Praktikerinnen und Praktiker der Jugendarbeit und der Wissenschaft, die Einblicke in die Situation junger Menschen gaben. Darüber hinaus wurden junge Menschen nicht nur als Zielgruppe, sondern auch als aktive Mitgestalter:innen der entwickelten Lösungen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, auch indem sie im Vorfeld (am sog. Youth Day) geschult wurden, um eine fundierte Diskussion aller Beteiligten auf Augenhöhe zu ermöglichen.
Die gemischten Arbeitsgruppen des Symposiums – bestehend aus Jugendlichen, politischen Entscheidungsträger:innen, Jugendarbeiter:innen und Akademiker:innen – befassten sich mit brennenden Fragen, die während des Symposiums definiert wurden (Civic Education, Diversität und Inklusion, Well-Being und mentale Gesundheit, Jugendarbeit als Beruf sowie lokale Jugendarbeit in Europa). Auf der Grundlage von Wissen, das auf gelebter Erfahrung und Expertise beruht, wurden Lösungsansätze für zentrale Herausforderungen im Jugendbereich gesucht und diskutiert. In dem Bestreben, die Bedingungen für junge Menschen und die Jugendarbeit in Europa zu verbessern, sprachen die Beteiligten die folgenden Empfehlungen an die maßgeblichen Stakeholder aus.
Mit dem Ziel, das Wohlbefinden und die mentale Gesundheit junger Menschen zu verbessern, sollten die Akteurinnen und Akteure:
neue Erfolgsgeschichten schaffen und fördern (auch im schulischen Umfeld), um den vielfachen Druck zu mindern, der auf jungen Menschen lastet.
Strategien für die emotionale Aus- und Weiterbildung junger Menschen umsetzen, um sie mit Werkzeugen auszustatten, die sie in die Lage versetzen, Stress und Druck effektiv zu bewältigen, u. a. durch die Integration von Mental Health Education in den allgemeinen Lehrplan sowie durch verstärkte pädagogische Beratung.
Bereitstellung von Plattformen für offene Diskussionen über mentale Gesundheit, u. a. durch die Schaffung kostenloser, sicherer und professionell unterstützter Räume für junge Menschen, in denen sie sich treffen und über Fragen der geistigen Gesundheit diskutieren können.
Bereitstellung zugänglicher therapeutischer Ressourcen, einschließlich der Verfügbarkeit von Psychotherapeut:innen, um diejenigen zu unterstützen, die Hilfe benötigen.
Initiierung und Unterstützung von Awareness-Kampagnen, um das Stigma zu verringern, das mit Fragen der psychischen Gesundheit verbunden ist.
Verbesserung des Zugangs zu angemessenen Weiterbildungsmöglichkeiten für Jugendarbeiter:innen, damit sie wirksam auf die psychischen Bedürfnisse junger Menschen eingehen können.
Die Förderung von Diversität und die Stärkung von Inklusion müssen durchgesetzt werden durch:
Die Notwendigkeit, ausschließlich mit Menschen mit funktionaler Vielfalt an Maßnahmen zur Stärkung und Förderung von Vielfalt und Integration zu arbeiten.
Ein besseres Verständnis der Mechanismen von sozialer Klasse und Hierarchie sowie der Art und Weise, wie sie die Vielfalt von Gesellschaften und die Einbeziehung verschiedener Gruppen behindern, die auf mehreren Ebenen von Ausgrenzung betroffen sind (Intersektionalität).
Schaffung von pädagogischen Werkzeugen, die auf dem Respekt für die verschiedenen Identitäten in einer Gesellschaft basieren, ohne dass diese lediglich überleben oder sich anpassen müssen, sondern die sie vielmehr akzeptieren und einander näher bringen.
Meinungsaustausch auf der Grundlage emotionaler Verbundenheit, bei dem Peer-to-Peer-Diskussionen und Kommentare zu Unterschieden und Diskrepanzen üblich sind.
Zur Stärkung von Civic Education halten die Teilnehmenden für nötig:
Civic Education durch Jugendarbeit muss gestärkt werden, damit sie ihre Ziele erreichen kann, die über politische Grundbildung und Beteiligung an der institutionellen Politik hinausgehen.
Die Bedeutung von Jugendarbeit für die zivilgesellschaftlichen Kompetenzen junger Menschen muss stärker anerkannt werden, auch in Bezug auf diejenigen, die (im formalen Bildungssystem) Civic Education vermitteln.
Nicht-formale Bildungsmethoden und -ansätze müssen in der politischen Bildung des formalen Bildungssystems obligatorisch werden. Angemessene finanzielle und personelle Unterstützung muss bereitgestellt werden.
Bei Aktivitäten im Bereich der Civic Education müssen Fähigkeiten zur Verfügung stehen, um Gefühle und Gedanken der Einzelnen wirksam zu vermitteln.
Die demokratische Dimension von Civic Education muss definiert und geschützt werden, damit sie nicht mit politischen Positionen verwechselt werden kann.
Programme für den Austausch und die Mobilität von jungen Menschen sowie Jugendleiter:innen müssen gestärkt werden, auch um sie so zu gestalten, dass die Beteiligung junger Menschen wirklich gefördert wird, und zwar von ihrer Entstehung bis zur Evaluation.
Um die Situation der Jugendarbeit als Beruf zu verbessern, wird Folgendes gefordert:
Schaffung eines paneuropäischen interdisziplinären Master-Studiengangs der Jugendarbeit, der einen bedeutenden Anteil an Praktika in Einrichtungen der Jugendarbeit beinhaltet und eine starke Dimension der internationalen Jugendarbeit aufweist.
Schaffung und Umsetzung eines modularen Umschulungs- und Qualifizierungsprogramms für einen Berufswechsel in die Jugendarbeit auf der Grundlage des europäischen Kompetenzrahmens für Jugendarbeit.
Schaffung einer Europäischen Jugendleiter:innen-Karte für junge Freiwillige in Verbindung mit dem DiscoverEU-Ticket.
Start einer europaweiten Kampagne, um die positiven Auswirkungen von Jugendarbeit in nationalem und internationalem Rahmen sowie ihren ökonomischen Wert aufzuzeigen, verbunden mit verstärkten Bemühungen, die Wertschätzung der Jugendarbeit und ihrer Erträge zu erhöhen.
Erhöhung der Motivation von Einzelpersonen, eine Laufbahn in der Jugendarbeit einzuschlagen, durch a) Aufzeigen der positiven Auswirkungen von Jugendarbeit auf die Jugendarbeiter:innen selbst und auf die Gesellschaft, b) Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Jugendarbeiter:innen, c) Stärkung der finanziellen Stabilität und der Entlohnung von Fachkräften der Jugendarbeit und d) Verbesserung der Unterstützung für qualitativ hochwertige Jugendarbeit.
Um die Bedingungen für die lokale Jugendarbeit in Europa zu verbessern, sind folgende Maßnahmen erforderlich:
Verstärkte Zusammenarbeit zwischen Schulen und lokalen Jugend(arbeits)einrichtungen zur gemeinsamen Durchführung von Aktivitäten, die sich an den Bedürfnissen junger Menschen orientieren.
Aufstockung der Mittel für lokale Aktivitäten der Jugendarbeit, die eine Dimension der Internationalisierung haben und es jungen Menschen ermöglichen, interkulturelle Begegnungen zu erleben und damit interkulturelle Kompetenzen zu erwerben.
Schutz und Stärkung (virtueller und physischer) frei zugänglicher und sicherer zivilgesellschaftlicher Räume, die einen Schutzraum vor intensiver Kommerzialisierung und Gentrifizierung bieten, insbesondere für benachteiligte Jugendliche. Lokale Zentren der Jugendarbeit sind Paradebeispiele für solche Räume, weshalb ihre Existenz und Stärkung unterstützt werden muss.
Prof. Dr. Tomaž Deželan ist Inhaber des Lehrstuhls für Politikanalyse und öffentliche Verwaltung an der Universität Ljubljana. Übersetzung aus dem Englischen von Rolf van Raden.
Sehen Sie sich die Videodokumentation an!
Ist Jugendarbeit ein fragiles, gefährdetes Arbeitsfeld – oder ein mächtiger Drache, der sich erhebt, um die Zukunft zu retten? Was denken diejenigen, die unglaublich viel Energie in Jugendprojekte investieren, über die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind? Der Filmemacher Harry Abraham hat Jugendliche und Fachkräfte der Jugendarbeit aus zehn europäischen Ländern zum Symposium „Jugendarbeit in Europa – Mission (un)möglich?“ begleitet. Das Ergebnis ist ein persönlicher Kurzfilm über die Träume und Forderungen von jungen Aktivist:innen und langjährigen Jugendarbeiter:innen, die eine gemeinsame Bewegung zur Verteidigung und Entwicklung der Demokratie ins Leben rufen wollen.
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